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Brief von Karl August Varnhagen von Ense an Helmina von Chézy

Berlin, 11. November 1847
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 733-734 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
11. November 1847.
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Genf
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 140 mm; Höhe: 225 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „733r“

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[Karl August Varnhagen]An Helmina von Chézy.
11. November 1847.
Verehrte Freundin!

Gestern Abend empfing ich Ihren Brief,
und heute,

gleich nach diesen Zeilen, schreib’ ich an Hrn von Humboldt.
Ich bin zwar überzeugt, daß, nachdem Sie selbst ihm ge-
schrieben und Ihre Sache an’s Herz gelegt haben, mein
Schreiben überflüssig ist, allein ich will es dennoch
thun, weil Sie es wünschen, und damit nichts versäumt
bleibe. Ich hoffe, daß Ihre Besorgnisse sich inzwischen
zerstreut haben, und die Sachen schon wieder in guter
Ordnung sind! Aus den Nachrichten, welche Sie mir mit-
theilen, kann ich den Stand noch nicht als so schlimm er-
kennen, wie Sie ihn zu nehmen scheinen. Bedenklich nur
ist mir Ihre neuste Offenherzigkeit in Betreff des Auf-
enthalts in Deutschland; warum ohne Noth eine Vor-
aussetzung zerstören, die dem Minister
vielleicht zu Ihren
Gunsten durchaus erforderlich ist? – 
Ihr vielfaches Mißgeschick erfüllt mich mit wahrer
Trauer! Der Verlust des geliebten Sohnes muß Sie tief
gebeugt haben, wie schon sein Nichtgedeihen bei so reichem
Talent Ihnen ein steter Quell herbster Bekümmer-
niß sein mußte. Hätte er doch mit seinen Kunstleistun-
gen sich hieher gewandt, vielleicht wäre alles anders ge-
worden! Doch es hilft zu nichts, in das Vergangne
sich andre Möglichkeiten zu denken! – 
Vor drei Jahren war ich einen Tag in Heidelberg.
Hätte ich nur ahnden können, daß Sie dort wohnten!
Ich erfuhr es erst nachher. Wie vieles hätte ich gewünscht

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mit Ihnen zu besprechen, zurückzurufen! – 
Setzen Sie denn die Aufzeichnung Ihrer Erleb-
nisse
nicht fort? denken Sie nicht daran, daraus
ein selbstständiges Buch zu machen? Wie viele
litterarische Materialien müssen sich bei Ihnen
angehäuft haben! – 
Mein jetziges Leben kommt mir vor, als
sei es nur bestimmt, die vielen Todesfälle ab-
zuwarten, die sich täglich ereignen. Wir sind
in diesem Herbste furchtbar heimgesucht. – Das
neueste jüngste Geschlecht hat die Wendung,
sich um das Vergangne wenigst möglich zu
bekümmern, – ich muß im Gegentheil meine
ganze Sorge und Thätigkeit dem Andenken
widmen! – Ich würde viel arbeiten, wenn nur
Alter und Kränklichkeit es gestatteten! – 
Leben Sie wohl, verehrte Freundin! Meine
besten, eifrigsten Wünsche für Sie! Mögen
Sie beim Empfang dieses Blattes schon die
vollste Beruhigung aus Paris bekommen haben!
Ich hoffe es! Ich hoffe das Beste für Sie
nicht nur durch Hrn von Humboldt, sondern
auch schon von dem Grafen Salvandy, sein
Name giebt mir Zutrauen. – 
Mit herzlicher Theilnahme, in treuer
Hochachtung und Ergebenheit
Ihr gehorsamster
Varnhagen von Ense.
Berlin, der 11. November
1847.

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